28.3.2021
Gesellschaft

Gustave Le Bon: Psychologie der Massen

Es ist ein Buch, an dessen Ideen sich bereits Adolf Hitler bedient haben soll. Die Rede ist von „Psychologie der Massen“ von Gustave Le Bon. Welche Eigenschaften Massen verbinden und wie einfach sie manipuliert werden können, schauen wir uns in mit den Kernthesen der Massenpsychologie an.
David Werner
Inhaltsverzeichnis

Hinweis: Veröffentlicht wurde das Buch bereits 1895. Deshalb muss man vieles natürlich auch im Kontext der Zeit sehen. Beispielsweise wenn Gustave Le Bon den Begriff Rasse benutzt.

Verschiedene Arten von Massen

Normalerweise versteht man unter einer Masse eine große Anzahl von Menschen, die aus einem beliebigen Grund zusammengekommen sind.

Gustave Le Bon geht bei seiner Definition aber etwas weiter. Denn unter bestimmten Umständen könne eine Vereinigung von Menschen bestimmte Eigenschaften entwickeln, sodass die Gefühle und Gedanken in eine Richtung ausgerichtet sind. Die persönlichen Charaktereigenschaften spielen dann kaum eine Rolle mehr, es entsteht viel mehr ein einziges Wesen mit einer „Gemeinschaftsseele“ bzw. eine „Massenseele“. Und die geht wiederum aus der sog. „Rassenseele“ hervor – also den gemeinsamen kulturellen Eigenschaften.

Dazu muss die Masse aber bestimmten Reizen ausgesetzt sein. Denn nur dadurch, dass sich zufällig Tausende Menschen zusammenfinden, entsteht noch keine organisierte Masse.

Grundsätzlich teilt Gustave Le Bon in zwei verschiedene psychologische Massen ein (vgl. S. 146):

1. Ungleichartige Massen

Die ungleichartigen Massen setzen sich aus irgendwelchen Einzelpersonen zusammen. Der Beruf oder der Bildungsstand spielt dabei keine Rolle. Hier wird dann noch weiter eingeteilt:

  • Namenlose (z.B. bei Straßenversammlungen)
  • Nicht namenlose (z.B. in Parlamenten)

2. Gleichartige Massen

  • Sekten (z.B. religiöse oder politische Sekten): Sekten bestehen grundsätzlich auch aus vielen unterschiedlichen Einzelpersonen, die durch ein Band der Überzeugung miteinander verbunden sind.
  • Kasten (z.B. Priesterkaste): Kasten stellen laut Le Bon die höchste Organisationsseinheit von Massen dar. Die Menschen in einer Kaste haben normalerweise gleiche Berufe, einen ähnlichen Bildungsstand und auch die Lebensverhältnisse ähneln sich.
  • Klasse (z.B. Klasse der Bürger): In einer Klasse haben die Menschen ähnliche Interessen und Lebensgewohnheiten.

Natürlich kann eine Masse komplett unterschiedliche Eigenschaften haben – beispielsweise je nach Nationalität oder Art der Masse. Auf diese Besonderheiten geht Gustave Le Bon auch ein, indem er bspw. über verbrecherische Massen schreibt. Das schauen wir uns am Ende an, zuerst geht es aber um die Gemeinsamkeiten.  

Unbewusste Wirksamkeit

Der erste wichtige Punkt ist, dass die Massen ihre Wirkungskraft unbewusst ausüben. Das liege laut Le Bon daran, dass der Gebrauch von Vernunft für uns Menschen noch zu neu sei und deshalb üben wir sehr viele Handlungen nicht bewusst aus, weil wir von Ideen, Gefühlen und Gewohnheiten geleitet werden. Dabei besitzen die meisten Menschen ähnliche Triebe, Leidenschaften und Gefühle, die sich in der Gemeinschaftsseele vereinigen.

Dadurch ist die Masse allerdings auch sehr wandelbar, was sie ziemlich schwer regierbar macht. Wie reizbar und triebhaft, ist allerdings abhängig von der jeweiligen Nationalität – so der Autor. Und je weniger eine Masse zu vernünftigen Überlegungen fähig sei, desto höher sei ihr Tatendrang.

Ursachen des Verhaltens

In einer Masse stellt sich das Gefühl der unüberwindlichen Macht ein, denn das was ein einzelner niemals schaffen würde, scheint in der Masse plötzlich möglich. Durch eine gewisse Anonymität schwindet auch das Verantwortungsgefühl für jegliche Taten. So passiert es auch schnell, dass ein liebevoller Vater in der Masse zum Mörder werden kann.

Trotzdem können die Massen sehr sittlich sein. Also damit ist einfach so was wie Ergebenheit oder Uneigennützigkeit gemeint. Die Massen können also auch sehr strenge moralische Grundsätze annehmen. Beispielsweise dass nach einem Mord persönlichen Gegenstände nicht mitgenommen werden, sondern fein säuberlich auf dem Tisch abgelegt werden.

Die geistige Übertragung sorgt dafür, dass in der Masse jedes Gefühl und jede Handlung übertragbar ist. Das kann sogar so weit gehen, dass der einzelne die Wünsche der Masse über seinen eigenen Selbsterhaltungstrieb stellt und dazu bereit ist, sich für die Masse zu opfern.

Der Mensch ist in der Masse also sehr beeinflussbar. Le Bon spricht davon, dass der einzelne in der Masse wie hypnotisiert ist und sich damit auch seinen eigenen Handlungen nicht mal mehr unbedingt bewusst ist. Der einzelne wird also zum Automat, zum Triebwesen bzw. zum Barbar.

Das hängt allerdings auch von dem Einfluss ab, unter dem die Masse steht. Denn oft verbindet man die Massen mit Verbrechen; sie können aber auch heldenhaft sein.

Das ist auch ein Grund, weshalb der Autor den Massen keine wirklich hohe Intelligenz zuschreibt. Denn die Massen sind vollkommen leichtgläubig und denken in Bilder – ohne jeglichen Zusammenhang.

Dabei ist auch das Phänomen der sog. „Kollektivhalluzination“ zu beobachten, bei der die Aussage eines einzigen Menschen die Masse täuschen kann.

Le Bon berichtet beispielsweise von dem Fund einer Kinderleiche, die zuerst von einem anderen Kind identifiziert wird. Auch die Mutter und andere Menschen bestätigen danach die Aussage des Jungen. Nach einigen Wochen dann allerdings die Erkenntnis: Alle Personen hatten sich geirrt. Bei der Kinderleiche handelte es sich tatsächlich um eine ganz andere Person.

Kollektivbeobachtungen seien also sehr gefährlich – so die Folgerung des Autors. Und deshalb seien Geschichtsbücher auch eher Phantasiewerke.

Die Kunst des Redens

Generell sind die Gefühle der Massen sehr einfach und überschwänglich. Deshalb müsse ein Redner, der die Massen mitreißen will, auch sehr starke Ausdrücke verwenden, gestützt durch Behauptung, Wiederholungen und Übertragung.

Es ist also wichtig, Bilder im Kopf der Menschen zu erzeugen – nur dadurch lassen sich die Massen beeinflussen. Und dazu müssen die Informationen in sehr einfacher Form aufnehmbar sein und das erreicht man nicht mit Beweisen, Logik oder der Wahrheit.

Ein geschickter Redner verknüpft ähnliche Dinge – selbst wenn sie nur einen oberflächlichen Zusammenhang haben – und zieht aus Einzelfällen vorschnell Verallgemeinerungen.

Ein Beispiel gefällig? Ein Arbeiter wird von seinem Arbeitgeber ausgebeutet. Die Folgerung: Alle Arbeitgeber sind Ausbeuter.

Was man also braucht, ist ein klares, packendes Bild. Am besten gestützt durch Tatsachen oder Täuschungen wie einem großen Wunder oder einem unerhörten Verbrechen. Wenn man die Phantasie und damit die Gefühle der Massen erregen kann, kann man sie auch regieren – so Le Bon.

Dazu ist die Wortwahl natürlich entscheidend. Dafür muss man allerdings auch wissen, was welche Bilder auslöst. Denn das ändert sich ständig und kann auch von Nation zu Nation und auch von Person zu Person unterschiedlich sein. Beispielsweise kann man unter dem Begriff Demokratie mehr Staat verstehen, der für mehr Gleichheit sorgt, oder aber weniger Staat, damit mehr Verantwortung auf dem Volk liegt.

Wenn man bei den Massen aufsteigen möchte, darf man also nicht mit Logik oder Vernunft argumentieren. Denn sie kennen nur einfache und übertriebene Gefühle und sind im Normalfall nicht in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Entweder wird eine Idee, die man ihnen einflößt, direkt als Irrtum abgetan oder als Wahrheit betrachtet – ausgelöst durch die unmittelbaren Triebkräfte.

Neben den flüchtigen Ideen, die sich auch sehr schnell wieder ändern können, gibt es allerdings auch bestimmte Grundideen, wie beispielsweise religiöse Glaubenssätze, die sich über viele Generationen entwickelt haben und die nur sehr schwer (bspw. durch eine Revolution) zu ändern sind.

Dafür sind die mittelbaren Triebkräfte verantwortlich, die durch folgende Faktoren beeinflusst werden:

  1. Rasse
  2. Überlieferungen
  3. Zeit

Wirklichkeit vs. Unwirklichkeit

Grundsätzlich sind sie sehr konservativ und treten neuen Ideen eher skeptisch gegenüber.

Dabei hat das Unwirkliche Vorrang vor dem Wirklichen. Oft machen viele zwischen diesen beiden Formen auch gar keinen Unterschied. Das sieht man beispielsweise im Theater, wenn Menschen den vermeintlichen Verräter nach der Vorstellung angreifen wollen – gut, dass bei Netflix & Co. die Schauspieler nicht direkt greifbar sind.

Generell sind die Massen sehr erregbar für „religiöse Gefühle“. Damit ist die Anbetung eines vermeintlich höheren Wesens gemeint, sowie die Furcht vor der Gewalt, die diesem Wesen zugeschrieben wird. Deshalb unterwerfen sich die Menschen blind und ohne das Ganze zu hinterfragen. Wer den Glauben nicht teilt, wird meist direkt als Feind gesehen. Intoleranz und Fanatismus sind hier also die beiden Schlagworte.

Das muss allerdings nicht unbedingt ein Gott sein, sondern die Gefühle können beispielsweise auch einer politischen Idee oder einem Idol zugeschrieben werden. Generell gilt: Entweder ist man für die Massen ein Gott oder man ist nichts - so Le Bon.

Die Führer einer Masse

Für eine Masse sei ein Führer unbedingt notwendig – so Le Bon. Ansonsten seien sie nicht in der Lage sich selbst zu führen. Im Normalfall sind Führer von Massen keine Denker, sondern Le Bon bezeichnet sie als „Männer der Tat […], die sich an der Grenze des Irrsinns befinden.“ (Bon, 2009, S. 112).

Die Massenseele will gar nicht frei sein, sondern möchte beherrscht werden – so der Autor.

Er unterscheidet generell zwischen zwei Führertypen: Entweder mit oder ohne Ausdauer. Wobei der erste Typ natürlich langfristig viel gefährlicher werden kann.

Egal ob Menschen oder Ideen, alles was jemals in der Welt geherrscht hat, hat sich hauptsächlich durch Nimbus durchgesetzt – so Le Bon. Das ist einfach eine Art Zauber, der auf uns ausgeübt wird. Durch Misserfolg kann Nimbus aber auch sehr schnell abklingen.

Verbrecherische Massen

Das sind jetzt mal grob umrissen die Gemeinsamkeiten von Massen. Allerdings gibt es auch spezielle Eigenschaften, die nicht bei allen Massen auftreten.

Bei den verbrecherischen Massen ist es zum Beispiel so, dass sie so stark beeinflusst werden können, sodass sie nachträglich das Gefühl haben einer Pflicht nachgegangen zu sein und damit etwas zum Gemeinwohl beigetragen zu haben. Sie halten sich selbst also nicht für Verbrecher. Le Bon berichtet zum Beispiel von Menschenschlächtern, die eine Belohnung oder sogar eine Auszeichnung verlangt haben.

Dabei nimmt die Masse auch zwei Rollen ein – nämlich die des Richter, aber auch die des Henkers. Jetzt ist es aber so, dass nicht nur der Verstand von Massen beschränkt ist, sondern auch ihr Rechtsgefühl. Denn im Normalfall wird zuerst nach Beruf oder Gesellschaftsstand unterschieden, sodass zum Beispiel direkt alle Adeligen verurteilt werden. In den anderen Fällen wird nach Aussehen und Ansehen verurteilt.

Dabei können komplett gegensätzliche Gefühle, die ins Extreme gehen können, auftreten. Beispielsweise extreme Grausamkeit, aber auch Mitgefühl.

Wie bereits am Anfang kurz angesprochen, kann eine verbrecherische Masse trotz aller Grausamkeit auch sehr gewissenhaft handeln, indem sie zum Beispiel die persönlichen Gegenstände ihrer Opfer nicht klauen. Trotzdem bleibt ihr Denken sehr unterentwickelt, was sich ja auch in ihren Handlungen zeigt.

Fazit

Wenn ihr tiefere Einblicke in die Massenseele erhalten und wissen wollt wie Geschworene, Wählermassen oder Parlamentarier beeinflusst werden, würde ich euch das Buch auf jeden Fall empfehlen. Dadurch kann man den Lauf der Geschichte besser verstehen – allen voran den Aufstieg Adolf Hitlers.

Außerdem ist es natürlich auch mal interessant zu den Ursprüngen zurückzugehen – schließlich gilt Gustave Le Bon ja nicht umsonst als Begründer der Massenpsychologie.

Und obwohl das Buch schon relativ alt ist, ist es immer noch ziemlich gut lesbar und ziemlich aktuell. Was heutzutage natürlich noch dazu kommt, ist die Beeinflussung durch Medien, wie dem Fernsehen oder natürlich auch Social Media.

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