Never Split the Difference
Egal ob Geiselnehmer, Bankräuber oder Terroristen. Chris Voss hat sie alle erlebt. Denn er war als ehemaliger FBI-Agent an vorderster Front dabei, wenn es darum ging zu verhandeln. Welche Techniken er bei Verhandlungen benutzt und was wir davon für unser tägliches Leben lernen können, schauen wir uns jetzt mit einigen Tipps aus seinem Buch „Kompromisslos verhandeln*“ an (bzw. wie es im Original erschienen ist: "Never Split the Difference").
Verstand vs. Emotionen
Viele Verhandlungsratgeber gehen laut Chris Voss von einer falschen Annahme aus: Nämlich dass der Mensch ziemlich rational handelt. Allerdings ist eher das Gegenteil der Fall: Denn wir reagieren emotional auf Vorschläge oder Fragen und das wiederum beeinflusst dann unser logisches Denken.
Aktives Zuhören
Bei Verhandlungen sollten wir uns also vor allem auf das animalische, emotionale und irrationale im Menschen fokussieren. Dazu ist es wichtig, aktiv zuzuhören, um das Vertrauen des Gegenübers zu erlangen und ihm das Gefühl zu geben, verstanden zu werden.
Dabei ist Zuhören keinesfalls eine passive Aktivität, sondern laut Voss das aktivste was man machen kann. Oft hören wir aber nur das, was wir hören wollen. Deshalb kann es hilfreich sein, eine zweite Person dabei zu haben, die sich nur aufs Zuhören fokussiert und versucht zwischen den Zeilen zu lesen bzw. in diesem Fall wohl eher: zwischen den Zeilen zu hören ;).
Informationen
Auch wenn man sich gut vorbereitet hat, kann es während der Verhandlung immer wieder zu Überraschungen kommen. Unser Ziel ist deshalb, so viele Informationen wie möglich vom Gegenüber zu bekommen. Hier muss man nur vor Falschinformationen aufpassen, denn die können zu falschen Annahmen führen.
Je unwichtiger sich eine Person übrigens selbst macht (indem sie ständig „Wir“ statt "Ich" sagt), desto wichtiger ist diese Person wahrscheinlich am Ende.
Körpersprache, Inhalt und Stimme
Insgesamt sollte man sich bei einer Verhandlung auch Zeit lassen. Denn oft versuchen wir alles zu schnell zu machen, was dann aber meist nicht wirklich erfolgreich endet. Deshalb einfach mal kurz durchatmen, kurze Pausen einbauen und ein Lächeln aufsetzen. Denn laut Albert Mehrabian ist man nur dann glaubhaft, wenn Körpersprache, Stimme und Inhalt zusammenpassen.
Hier gibt es laut Chris Voss drei verschiedene Stimmarten:
- Late Night FM DJ Stimme: ruhig, langsam, ausgeglichen (diese Stimme sehr gezielt einsetzen!)
- Positive, spielerische & lockere Standardstimme
- Direkte Stimme: bestimmend (nur selten einsetzen!)
Spiegeln
Durch die richtige Stimme kann man die Menschen also schon mal in eine positive Grundstimmung rücken. Sehr effektiv kann es auch sein, den Gegenüber zu spiegeln. Also das kann man natürlich bspw. über die Körpersprache machen, aber was Chris Voss hier vor allem hervorhebt, ist, dass man die letzten drei Worte oder Schlüsselbegriffe von dem wiederholen sollte, was die andere Person gerade gesagt hat. Denn wir mögen Menschen, die uns ähnlich sind.
Er zitiert hier eine Studie bei der Kellner 70% mehr Trickgeld bekommen haben, nachdem sie nicht solche Standardfloskeln wie „Super“ oder „Kein Problem“ benutzt haben, sondern einfach die Bestellung der Kunden wiederholt haben.
Bei der Arbeit könnte das Gespräch dann bspw. so aussehen:
Chef: Davon brauche ich zwei Kopien und zwar am besten bis gestern.
Angestellter: Tut mir leid, zwei Kopien?
Chef: Ja eine für uns und eine für den Kunden.
Angestellter: Tut mir leid. Sie sagen also, dass der Kunde nach einer Kopie verlangt hat und wir eine für interne Zwecke brauchen?
Chef: Naja, eigentlich hat der Kunde gar nicht nach einer Kopie verlangt. Das werde ich nochmal überprüfen. Aber ich brauche auf jeden Fall eine.
Angestellter: Absolut. Vielen Dank, dass Sie das nochmal mit dem Kunden überprüfen. Wo möchten Sie die andere Kopie abgelegt haben? Wir haben nämlich keinen Platz mehr im Archiv.
Chef: Ja dann legen Sie es halt irgendwo ab!
Angestellter: Irgendwo?
Chef: Ja einfach irgendwo in meinem Büro. Aber wenn ich gerade so darüber nachdenke, reichen für den Anfang vielleicht auch die digitalen Backups. Die Kopien können Sie ja dann nach Projektende machen.
Emotionen erkennen und benennen
Empathie ist dabei das Schlüsselwort. Dazu sollte man versuchen, die Position des Gegenübers zu verstehen und sie anzuerkennen, auch wenn man nicht mit ihr einverstanden ist. Dadurch vermittelt man der anderen Person, dass man zuhört und sich für sie interessiert.
Der Trick beim Erkennen von Gefühlen ist, auf Veränderungen zu achten. Sobald man eine Emotion erkannt hat, sollte man sie laut benennen, indem man es als Aussage oder Frage formuliert. Sind im Service-Center beispielsweise vor einem Kunden, die aggressiv sind, könnte man – wenn man an der Reihe ist – so einsteigen:
„Hallo Frau Müller. Mein Name ist David Werner. Es scheint, dass die Kunden gerade ziemlich verärgert waren.“
Damit schafft man eine Beziehung, die auf Empathie basiert. Denn Emotionen haben zwei Ebenen: Einmal das, was man an der Oberfläche sieht, aber es gibt auch einen Teil darunter.
Und das ist die Motivation hinter dem Verhalten.
Als guter Verhandlungsführer sollte man die zugrunde liegenden Emotionen erkennen und ansprechen, indem man sie benennt. Dadurch schwächt man das Negative ab und verstärkt positive Wahrnehmungen.
Dazu kann es auch hilfreich sein, sich das Schlimmste zu überlegen, was die andere Person über einen sagen könnte und es dann selbst aussprechen - wie zum Beispiel:
„Nach unserem Gespräch werden Sie vielleicht denken wir wären die große böse Firma, die versucht die kleinen vom Markt zu vertreiben.“
Diese Aussagen hören sich meist ziemlich übertrieben an, wenn sie laut ausgesprochen werden, deshalb veranlasst das die Gegenposition dazu, genau das Gegenteil zu bestätigen und damit zu unseren Gunsten zu handeln.
Keine Angst vor "Nein"
Vielleicht habt ihr ja schon mal irgendwo gelesen oder gehört, dass man der Gegenposition nur solche Fragen stellen sollte, die sie mit Ja beantworten kann, damit man eine positive Grundstimmung schafft. Ich meine wer kann bei einer Frage wie „Trinken Sie nicht auch ab zu gerne ein Glas Wasser?“ mit Nein antworten. Hier muss man aber aufpassen. Den laut Chriss Voss gibt es drei verschiedene Arten von Jas, die wir bekommen können:
- Fälschung : Da will man eigentlich Nein sagen, sagt aber Ja, um dem Gespräch zu entfliehen
- Bestätigung : Das ist relativ neutral wie bspw. die Antwort auf die Frage ob das hier ein Blogeintrag ist
- Zusage : Das ist ein tatsächliches Ja, das am Ende zum Abschluss des Deals führt
Nur Ja-Fragen zu stellen ist laut Voss nicht der richtige Weg. Stattdessen sollte man sogar bewusst solche Fragen stellen, die mit Nein beantwortet werden. Denn dadurch denkt die andere Person, sie hätte die Kontrolle über das Gespräch. Also anstatt zu fragen ob man kurz eine Minute Zeit hat lieber fragen: „Ist gerade eine schlechte Zeit um kurz zu sprechen?“
Um herauszufinden, ob man tatsächlich eine Zusage hat, kann man die andere Seite dazu bringen, mindestens dreimal zuzustimmen. Dann kann man sich einigermaßen sicher sein.
„Das ist richtig“ vs. "Du hast recht"
Unser Ziel ist dabei, die magischen drei Worte zu hören „Das ist richtig“. Das bekommt man mit einer Zusammenfassung hin: Also in eigenen Worten das wiedergeben, was die andere Person gesagt hat und die Emotionen unter der Oberfläche erkennen.
Was man aber auf jeden Fall vermeiden will, sind die Worte „Du hast recht“, denn da stimmt man selbst dem Ganzen nicht zu und sagt es meist auch einfach nur, um in Ruhe gelassen zu werden.
Niemals die Differenz teilen
Sehr mächtig ist auch das Wort „Fair“. Und das bedeutet für die meisten: Der eine will 1.000 € haben, der andere aber nur 500 € zahlen, dann trifft sich halt in der Mitte und macht 750 € draus.
Wie ihr dem Buchtitel "Never Split the Difference" vielleicht schon entnommen habt, ist Chris Voss davon kein Freund. Man sollte laut ihm die Differenz niemals teilen – denn was man dann bekommt ist ein Kompromiss, mit dem eigentlich keiner zufrieden ist. Es ist als würde man mit einem braunen und einem schwarzen Schuh rumlaufen, weil man sich nicht entscheiden könnte welche Farbe man anziehen wollte.
Verlustaversion
Stattdessen sollte man der anderen Person das Gefühl vermitteln, dass sie etwas zu verlieren hat, wenn sie den Deal nicht annimmt. Denn wir Menschen wollen lieber Verluste vermeiden als Gewinne zu erreichen – die sog. Verlustaversion.
Für was würdet ihr euch bspw. entscheiden, wenn ihr mit einer 95 % Wahrscheinlichkeit 10.000 € bekommen könntet oder aber zu 100 % 9.499 €? Die meisten würden wahrscheinlich eher zu dem geringeren Betrag greifen – denn der ist ja sicher.
Was ist, wenn wir das Ganze aber umdrehen: Ihr verliert also zu 95 % 10.000 € oder aber zu 100 % 9.499 €. Dann würden die meisten wahrscheinlich die risikoreichere Option wählen.
Die Verlustaversion können wir auch bei Verhandlungen nutzen, indem wir zuerst sagen, wie schlimm es werden wird. Die andere Person soll also das Gefühl bekommen, etwas zu verlieren, wenn sie jetzt nicht handelt. Und wenn es dann zu den Zahlen geht, kann man zuerst eine extrem niedrige oder hohe Zahl aufrufen, sodass das eigentliche Angebot ziemlich attraktiv wirkt oder man gibt eine Range an, um weniger aggressiv zu wirken.
Kalibrierte Fragen
Wie bereits angesprochen, soll die andere Person das Gefühl bekommen, die Kontrolle zu haben. Das kann man auch sehr gut mit offenen Fragen erreichen, die nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Chris Voss nennt sie „kalibrierte Fragen“, die am besten mit „Wie“ oder „Was“ anfangen. So bekommt die andere Person das Gefühl um Hilfe gebeten zu werden und wenn man es richtig macht, veranlasst man die Gegenseite dazu, das eigene Problem zu lösen.
Anstatt bspw. einfach Nein zu sagen, kann man fragen: „Wie soll ich das machen?“. Diese Fragen kann man auch wieder und wieder stellen.
Vermeiden sollte man aber das Wort „Warum“. Denn dadurch fühlt sich die Gegenseite oft direkt angegriffen.
Detailfragen
Wenn es um die Details geht, ist es wichtig zu erkennen, welcher Verhandlungstyp einem gegenübersitzt. Zu diesem Thema gibt es eine kostenlose PDF auf der Seite von Chris Voss‘ Firma.
Ackerman-Modell
Das Ackerman-Modell ist eine Angebot-Gegenangebot-Methode, bei der man sein erstes Angebot bei 65 % des Preises festlegt, den man eigentlich zahlen will und dann erhöht man es schrittweise, nachdem man die Gegenseite durch Empathie und verschiedenen Wegen Nein zu sagen ohne Nein zu sagen (wie beispielsweise durch die kalibrierten Fragen), dazu bringt, nachzugeben.
Beim finalen Preis ist es nur wichtig, keine runden Zahlen wie 1.500 zu nehmen. Besser wäre hier zum Beispiel 1.532. Das verleiht dem Ganzen mehr Glaubwürdigkeit.
Schwarze Schwäne
Egal wie gut man vorbereitet ist, es kann immer etwas passieren womit keiner rechnet und das alles komplett verändern kann – ein Schwarzer Schwan also wie es Nassim Taleb in seinem gleichnamigen Buch beschreibt. Man sollte sich also nicht davon blenden lassen, was man weiß. Viel interessanter ist eigentlich das, was man nicht weiß.
Um Schwarze Schwäne möglichst zu vermeiden, sollte man so viel wie möglich über die andere Person herausfinden wie bspw. über deren Weltanschauungen oder Motive. Alles kann helfen.
Am besten ist es, wenn man die andere Person direkt von Angesicht zu Angesicht sieht. So kann man am meisten herausfinden, weil man nonverbale Signale viel besser erkennt.
Fazit
In den Buch gibt es natürlich noch viele weitere Tipps: wie beispielsweise, dass man etwas neben Geld findet, das für einen selbst sehr wertvoll ist und den Gegenüber eigentlich nichts wirklich kostet (z.B. dass man zusätzliche Publicity bekommt, weil man auf einer Kundenzeitung abgedruckt wird).
Wie ihr seht liefert das Buch einige Verhandlungstipps, die man direkt in der Praxis ausprobieren kann und zwar verpackt in spannende Geschichten aus Chris Voss‘ FBI-Leben. Also sehr lesenswert für eigentlich alle. Denn das gesamte Leben ist Verhandlung.